![]() |
Angelina (Nina Tarandek) (c) Barbara Aumüller |
Zugrunde liegt nicht das Märchen der Gebrüder Grümm von 1812, wo das Sortieren der Linsen die Eintrittskarte zum großen Fest des Brautschau haltendenen Prinzen ist, sondern das Märchen des Charles Perrault von 1697, das wiederum auf ein Werk des Giambattista Basile zurückgeht, das zwischen 1608 und 1618 entstand. Basiles am Ende IL PENTAMERONE (Das Pentameron, also Fünf-Tage-Werk) genanntes Buch sammelte 50 Märchen an 5 Tagen erzählt, so wie Boccaccios DECAMERONE 100 Geschichten in 10 Tagen sammelte. Ein Rolle spielte auch die Opera comique CENERENTOLA von Pavesi aus dem Jahr 1814, deren Märchenhaftigkeit Rossinis Librettist Jacopo Ferretti herausnahm.
Wie andere Opern von Rossini wurde die Oper in kürzester Zeit komponiert und betextet. Von Weihnachten 1816 bis zum 25.01.1817 stampfte Rossini mit seiner Patchworktechnik eine neue Oper aus seinem vorhandenen Material zusammen und ließ einen Teil von Luca Agolini (Chor 2. Teil, Alidoros Arie) schreiben. Nach dem Erfolg des BARBIERE DI SIVIGLIA war die Premiere im Teatro della Valle, Rom, ein Flop, kaum einer klatschte oder verstand das Treiben auf der Bühne. Erst später merkte man, was man sich da entgehen ließ.
![]() |
Angelina (c) Barbara Aumüller |
In Frankfurt werden unter der Regie von Keith Warner in etwa 160 Spielminuten die wundersamen Geschehnisse um Cenerentola Angelina (tapfer und schön Nina Tarandek) und Don Ramiro, dem Prinicipale (verschwindend klein, aber gerecht auf einem riesigen Fürstenstuhl das Objekt der Frauenbegierde und Aschenputtelretter Martin Mitterrutzner) lustig, beeindruckend und fern von höfischer Steifheit gezeigt.
Angelina singt ihr bei den Stiefschwestern verhasstes Lied und lebt den Traum:
"Es war einmal ein König, der verschmähte Schönheit und Reichtum, er entschied sich für Tugend und Größe."
Ihr Vater hat auch einen Traum, aber der macht ihn ganz offen lächerlich, zeigt seinen Spleen, der ihn ruiniert. Er träumt sich als fliegender Esel, die beiden anderen Töchter als sein Gefieder, träumt von Fruchtbarkeit der Töchter und deren Herrinnendasein. Angelina dagegen schlägt er mit dem Stock, tritt nach ihr und behandelt sie furchtbar garstig.
Don Ramiro muss handeln, gibt es doch eine väterliche Verfügung, dass wenn der Sohn sich nicht verheirate, er aufs Erbe verzichten müsse. Sein Hofstaat warnt ihn: "Beeile dich, sonst bist du der Letzte deines Geschlechts!"
Die Familie des Don Magnifico (ganz hervorragend und lebhaft-trunken durch das Stück torkelnd Simon Bailey), insbesondere seine beiden eitlen, hochnäsigen und berechnenden Baronstöchter Clorinda (komödiantisch gefallend Sofia Fomina) und Tisbe (arrogant und grob Judita Nagyová), ist wild auf Don Ramiro, wären sie doch endlich Herrinnen und hätten ausgesorgt. Die Lage ist schlecht, hat der Stiefvater doch den Erbteil von Angelina bereits veräußert, um seinen leiblichen Töchtern reiche Kleider, Schmuck usw. zu kaufen, damit sie bei der Brautschau des Prinzen den ersten Preis ziehen.
Dandini (dynamisch, werbend und erforschend voller Tatendrang Iurii Samoilov) hilft seinem Herrn die Lage zu erkunden, entdeckt Angelina auch als ganz besondere Frau und verliebt sich selbst in sie ... Er spekuliert damit, dass das Aschenputtel ihm zufalle, weil ja die Töchter des Baron standesgemäßer seien. Um die Töchter zu prüfen vereinbaren Herr und Diener einen Rollentausch und schlagen den "edlen Damen", abgeschminkt eher nur Prollofrauen im Trainingsanzug, auf dem alles entscheidenden Brautschaufest vor, dass, wenn das Los gefallen sei, die andere den Diener Dandini (hier nun der Don) bekäme. Da zeigen sie ihres wahres Gesicht, spucken, treten und erniedrigen den vermeintlichen Diener. Der erkennt die wahre Gesinnung. Während er zu Beginn der Handlung schon als Dandini bei Angelina war und sich unsterblich verliebte:
"Wie herrlich ist ihr Lächeln. Es dringt in die Seele und lässt hoffen!"
Angelina ist ebenfalls verzückt: "Wer seid ihr?" - "Ich weiß es nicht!"
![]() |
Clorinda, Don Magnifico, Tispe (c) Barbara Aumüller |
Wichtig für das Geschehen, ist last not least der Zauber. Bei Grimms die Fee ist es bei Perrault/Rossini der Magier Alidoro (beeindruckend kostümiert und in der Wirkung der Südafrikaner Vuyani Mlinde), der als Bettler verkleidet ebenfalls Angelina als wahre Frauengröße erkennt und ihr Hilfe verspricht. Angelina wird von ihrem Stiefvater einfach für tot erklärt, weil er seine leiblichen Töchter promoten möchte. Alidoro verspricht Angelina daraufhin, dass er sie nicht nur als Tochter wiedereinsetzen wolle, wie es auch im Familienbuch stünde, sondern sie auch am Fest teilnehmen dürfe. Er schenkt Angelina zwei Armreife, die sie beim Fest tragen soll, ein wunderschönes Kleid ziert sie außerdem. Als sie später beim Fest als unbekannte Schönheit auftritt, Don Magnifico doch schwer grübeln lässt, ob es sich nicht um seine dritte Tochter handelt, vom Hofstaat Ramiros bewundert und beklatscht, gesteht sie dem angeblichen Ramiro, dass sie seinen Diener liebe, der das hört und ihr sofort die Hand bieten möchte. Aber Alidoro verkompliziert das Ganze. Der Don soll sie erst suchen. Er erhält einen der beiden Armreife und soll seine Geliebte später am anderen Armreif erkennen, als ein plötzliches Alidoro-Gewitter die Beteiligten ins Haus des Don Magnifico treibt. So sticht Angelina die beiden hohlen Schwestern aus und wird Herrin. Alidoro klärt die Schwestern auf, dass nun alles versteigert werden müsse, da der Vater Cenerentola ja um ihren Erbteil gebracht hätte. Angelina teilt ihnen ihre Rache mit, die großmütig aus Vergebung besteht.
![]() |
Ramiro, Alidoro und Angelina (c) Barbara Aumüller |
Eine Oper von Rossini, die Spaß macht, den so klassischen Stoff des Aschenputtels durch Keith Warner herrlich dynamisch und mit Märchen-Comedy-Charakter darbietet.